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TellsBells-Festival 2009 - Villmar (14.08.2009 - 15.08.2009)
Nicht nur Bands aus Amiland wiederholen es inzwischen fast gebetsmühlenartig: die Festival-Landschaft in Deutschland ist atemberaubend groß und wächst noch immer. Finanzkrise her oder hin, für Festivals scheint die ach so gebeutelte Jugend von heute noch immer genügend Groschen übrig zu haben.
Neben den gekrönten Häuptern der Festivalsaison wie das Hurricane/Southside, Wacken, das With Full Force und die diversen Rocks am und im Irgendwo, um nur einige zu nennen, etablieren sich auch immer mehr kleinere Festivals, nicht selten irgendwo in der Provinz. So stießen wir eher zufällig auf das doch eher beschauliche TellsBells-Festival im hessischen Villmar, was immerhin auch schon zum sechsten Male auf der Sportanlage des ebenso beschaulichen Städtchens an der Lahn stattfindet. Vor allem überzeugte uns das Line-Up: hatte man im vorigen Jahr schon AGNOSTIC FRONT zu Gast, schaffte man es dieses Jahr nach der Absage der eigentlich geplanten H2O niemanden geringeres als die Familie Koller nebst Kumpanen von SICK OF IT ALL zu einem von nur drei Europa-Shows in diesem Sommer in die Nähe von Limburg zu locken. Im Vorprogramm waren deren Brüder im Geiste von MADBALL angekündigt, am Vortage sollten die MAD CADDIES und die REAL McKENZIES für das geschwungene Tanzbein sorgen.
Noch etwas fiel vor dem Start auf: Die zivilen Preise. Keine Ahnung wie der veranstaltende Kulturverein Villmar e.V. es hinbekommt bei solchen Acts und der überschaubaren Größe des Geländes solche Kampfpreise anzubieten. Einiges an kommunalen Subventionen und Wohlwollen wird da wohl im Spiel gewesen sein, aber warum sollte Jugendarbeit nicht auch mal Geld kosten. 15 Euro für das Wochenendticket ohne Campen, nur drei Euro Aufschlag bei Wunsch nach richtigem Festivalfeeling mit Zelt, ist angesichts der horrenden und teilweise schon unverschämten Forderung der Großveranstalter anderer Festivals absolut vorbildlich zu nennen. Vor allem wenn man bedenkt, dass neben den genannten Hauptacts auch noch diversen kleineren Bands eine Auftrittsmöglichkeit verschafft wurde, einige davon durchaus schon mit ordentlich Renomee besetzt.

Aber der Reihe nach: Direkt nach Feierabend geht´s auf die Bahn, der Kollege fährt und das Ziel ist spätestens 21.30h Ankunft, man will ja zumindest die bekloppten Kanadier sehen. Der Kollege fährt den gewohnten Bleifuß, Ankunft 21 Uhr und schnell ab auf´s Gelände, TALCO wärmen schließlich schon mal die Skafreunde für die Caddies auf, und da will man nichts verpassen, denn die Jungs sind gut. Sind sie dann aber nur von weitem, denn die ersten Schwierigkeiten treten auf: Die Besucher an der Tageskassenschlange müssen verdammt viel Geduld mitbringen, was daran liegt, dass ihre Anzahl wohl weit über den Erwartungen liegt, zum anderen aber die vier Kapeiken in ihrer Bretterbude auch zu denen gehören, denen man beim Laufen die Schuhe besohlen kann. Man hat auch nicht den Eindruck, dass jeder so wirklich weiß was er da tut. Unsere Akkreditierung muss dann auf diversen wirr umher fliegenden ungeordneten Zetteln gesucht werden, nach mehreren vergeblichen Versuchen an zwei verschiedenen Buden will dann mal jemand beim Oberfutzi fragen: statt des erwarteten, weil mittlerweile obligatorischen, Funkgerätes werden Schusters Rappen gezogen, und man geht mal fragen! Klappt dann doch noch.
Die McKenzies starten dann selbst auch mit einiger Verzögerung, unübersehbar gibt es einige Schwierigkeiten beim Soundcheck, der kanadische Bühnenmanager macht jedenfalls irgendwann einen recht genervten Eindruck. Egal, Zeit für uns mal nach Getränken Ausschau zu halten, wo uns der nächste Preishammer trifft: das Bier kostet nur 1 Euro!! Zugegeben, es ist nur 0,2l, aber hochgerechnet sind das 2 Euronen für 0,4l, die woanders gerne schon mal mit 3-4 Euro zu Buche schlagen. Diese zwei muss man dann aber auch jedes Mal bestellen, sonst rennt man nur noch zum Tresen. Das ständige Getrage zweier Becher nervt dann auf Dauer etwas. Dazu kommt, dass auf dem gesamten Gelände die Speisen und Getränke nur mit Wertmarken zu erwerben sind, wo man dann häufiger mal zum Umtauschen muss. Auch das nervt.
Zurück zu den nordamerikanischen Freunden des gepflegten Umtrunkes. Zur großen Überraschung legen die McKenzies mit einer halben Stunde Verspätung nicht los wie die Feuerwehr, sondern lassen zunächst drei Akustiknummern erklingen, bevor sie dann noch eine knappe halbe Stunde rumkrawallieren. Ansonsten aber alles beim Alten, Drinking-Song jagt Drinking-Song, unterm Schottenrock ist kein Textil und ein Hoch auf die holde Weiblichkeit wird angestimmt. Die zur Zeit holdeste Maid von Sänger und Bandnamensgeber Paul spielt zwischendurch Geige, ihre Halbwertzeit scheint aber zumindest im zwischenmenschlichen Bereich eher von kurzer Dauer zu sein (Zitat Paul:“…for tonight!“). Alles ganz nett, haben wir aber auch schon besser gesehen.
Nun folgen die Mad Caddies, die für ihr Genre erfrischend untätowiert und auch kleidungstechnisch sehr unambitioniert auf die Bühne kommen, musikalisch aber dafür ein Genuss sind. Vor allem Sänger und Bandvorsteher Chuck überzeugt durch eine atemberaubend gute Stimme. Die Band spielt alles an größeren Erfolgen herunter, was auch der gemeine Sampler-Freund kennt, erlaubt sich aber zwischendurch auch einige Längen im Schmusemusikbereich. Schade. Ansonsten durchaus gelungen. Ab ins Bett.

Der zweite Festivaltag überzeugt grundlegend schon mal durch fantastisches Wetter, eigentlich schon fast zu warm. Die ersten, zum Teil lokalen Bands fallen der Konferenzschaltung am örtlichen Marktplatz zum Opfer. Dort trifft man auch die hiesige Faschoszene an: sie besteht aus einer Person, nimmt nebst Freundin einen Mittagstisch beim Griechen ein und guckt böse. Wird aber später auch auf dem Festival gesehen.
Die SGE wird zum Glück nicht Tabellenführer, das hätten die übrigen Besucher inklusive Wirt auch nicht verkraftet.
Auf dem Festivalgelände muss dann festgestellt werden, dass sich ob der Hitze noch nicht wirklich viele Besucher eingefunden haben, schade für die wirklich guten Bremervörder von TINY-Y-SON. Allerdings können selbst die dann folgenden Schweden von PSYCHOPUNCH zu meiner Überraschung auch nur ein bescheidenes Häufchen vor die Bühne locken, und das sind ja nun wirklich keine Unbekannten mehr. Nun denn, die Herren aus Västerås bemühen sich nach Kräften und können zumindest mich vollends überzeugen.
Die jetzt folgende Hardcore-Kelle hat´s dann verdammt noch mal in sich! Madball infiltrieren das System so überzeugend, dass die Messlatte in Sachen Spielfreude und Einsatz schon verdammt hoch liegt! Sänger und Roger Miret Bruder Freddy hüpft und röhrt über die Bühne wie ein junges Reh, und seine leicht adipösen Mitstreiter an den Saiteninstrumenten stehen ihm in nichts nach. Geil!
Sick of it all, die in Abwesenheit ihres gewohnten Europa-Tourmanagers angereist sind (gute Besserung!) müssen sich nun also kräftig ins Zeug legen, um das noch zu toppen. Vor dem zweifellos größten Publikumszuspruch dieses Wochenendes, so einige waren wohl nur wegen der New Yorker Hardcorelegende gekommen, gelingt ihnen dies aber mit Bravour. Ein buntes Potpourri aus allen Zeiträumen der bisherigen Schaffensphase der Band wird dargeboten und im Publikum weiß man vor lauter Kreiseln und Todeswänden schon bald nicht mehr, wo man überhaupt noch hinspringen soll. Zweifellos nicht mehr in den Vordermann, der guckt nämlich schon grimmig…
Man muss sich wirklich fragen, ob die Herren Koller und Co eigentlich jedes Jahr noch älter werden, oder ob es sich bei ihnen eher andersherum verhält. Was diese Truppe an Energie und Freude auf die Bühne bringt, würde so manch anderer auch schon älter gedienten Band durchaus auch gut zu Gesicht stehen.

Musikprogramm also wie erwartet toll, kommen wir zur übrigen Festivalbeurteilung: Einige organisatorische Pannen habe ich oben schon erwähnt, sind aber zu entschuldigen, wenn man bedenkt, dass hier wohl einige Ungeübte und Ehrenamtliche am Werk sind, das geringe Preisniveau all überall entschädigt dafür. Nicht entschädigt wird man allerdings für die unterirdische Currywurst! Iiih! Der Rest indes geht in Ordnung.
Die bescheidene Campingfläche stellt bei einer dauerhaften Expansion des Festivals ein Problem dar, in jedem Fall gehören da dann Duschen hin! Viel größer darf die Veranstaltung auch sonst nicht mehr werden, man müsste sich dann nach einem anderen Veranstaltungsort umschauen!
Auffällig ist das extrem junge Publikum! Abgesehen davon, dass mich mein alter Herr schallend ausgelacht hätte, wenn ich in dem Alter nicht weniger hier Anwesender den Wunsch nach einem Festivalbesuch vorgetragen hätte, frage ich mich, wie die sich das alle leisten können. Soviel Zeitungen kam man gar nicht austragen!
Nun denn, sei es wie es sei, ich kann das Festival bis hierhin nur weiter empfehlen, solange es ein Geheimtip bleibt!
Wäre da nicht eine Sache, für die der Veranstalter zugegebenerweise nichts kann, die ich aber trotzdem erwähnen möchte, weil es doch sehr augenfällig war. Ich weiß nicht, ob der Hesse per se ein eher schlecht gelaunter Typ ist, oder ob er die Hitze nicht verträgt oder was da sonst so los ist: definitiv waren Dinge los, die auf Festivals vergleichbarer Größe, z.B. Deichbrand in Cuxhaven oder Traffic Jam in Dieburg, nicht zu beobachten sind. Deshalb kann es auch kein Generationenproblem sein, wie ich zunächst vermutete: Dass auf dem Pkw-Parkplatz einer solchen Veranstaltung schon mal ein bisschen Müll liegt oder auch schon mal eine Flasche zu Bruch geht, d´accord! Aber wer erklärt mir bitte, warum Unmengen von Müll nicht einfach zehn Meter weiter in das nächste dafür vorgesehene und bereit stehende Behältnis gebracht werden können, und warum die gesamte Zufahrtsstraße aussieht wie Christoph Daums legendäre Scherbenlaufstrecke?
Schlimmer noch: Ich habe selten auf einem solchen Festival so viel hochaggressive Leute gesehen, die sich einen Dreck darum scheren, dass außer ihnen selbst auch noch andere Menschen anwesend sind: da werden gegen Mittag schon so einfach aus dem Stehgreif heraus harmlos entgegen kommende Passanten auf´s Übelste beleidigt, auf dem Gelände wird Unbeteiligten wiederholt mit voller Absicht in den Rücken gesprungen, mit mitgebrachten aufblasbaren Gummitieren wird so lange um sich gefuchtelt, bis mindestens jeder der Umstehenden die Spitze des Hartplastiks mindestens zweimal im Auge hatte, und völlig normale Pogo-Schubsereien in der dritten Reihe eines Hardcore-Konzertes werden zum Anlass genommen, eine amtliche Schlägerei vom Zaune brechen zu wollen. Natürlich gleich mit Leuten, die mindestens 15 Jahre älter sind! Clever!
Liebe Jugendliche: Wenn ihr nicht wisst wohin mit euren Aggressionen, geht doch einfach zur SGE in die Kurve. Da stört ihr keine harmlosen Musikliebhaber, seit unter Gleichgesinnten und habt ständig was zu tun! Denn Meister werden die nie!

Links:
TellsBells-Festival 2009

Nille

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